Pilgern Assisi Italien

Pilgern: Wo zieht es mich hin? Was lasse ich zurück?

Pilgern ist ein Mega-Trend. Warum das so reizvoll ist und was sich auf dem Weg alles erleben lässt, erfährst Du in diesem Beitrag – und zwar von einer leidenschaftlichen Pilgerin: Seit 15 Jahren pilgere ich jährlich mit jungen Leuten nach Assisi – auch in diesem Jahr 🙂.

Leise klingelt es neben meinem Kopf. Es ist 4.50 Uhr. Ich krieche aus meinem Schlafsack, suche im Dunkeln meine Flöte und wecke die Pilgergruppe mit Musik. Still machen wir uns zurecht, essen eine Kleinigkeit und schultern unsere Rucksäcke. Die kommende Stunde gehört jeder und jedem ganz persönlich: Im Schweigen wandern wir in den anbrechenden Tag hinein.

Seit 15 Jahren pilgere ich jährlich mit jungen Erwachsenen durch die umbrischen Berge nach Assisi. Pilgern boomt seit langem und die Zahl derjenigen, die sich auf den Weg machen, wächst stetig. So trafen 2019 knapp 350.000 Pilgerinnen und Pilger in Santiago de Compostela ein. Doch wer geht da eigentlich pilgern? Und vor allem: Was macht Pilgern so reizvoll?

Assisi Pilgern Weg
Blick auf Assisi: Seit 15 Jahren pilgere ich jährlich zum Geburtsort von Franz von Assisi

Was macht Pilgern so reizvoll?

Der Hagener Sozialforscher Christian Kurrat beschreibt verschiedene „Pilger-Typen“: Da gibt es den „Bilanzierer“, der nach einem runden Geburtstag wie dem 50’er auf sein Leben zurückschaut. Die „Auszeitnehmerin“, die aus dem Hamsterrad aussteigen will und Ruhe sucht. Oder den „Übergangspilger“, der vor dem Beginn eines neuen Lebensabschnitts – etwa dem Eintritt ins Rentenalter – steht und sich über die Möglichkeiten des Kommenden klarer werden möchte. Sie alle wollen sich aus dem normalen Rhythmus ausklinken – oft, um sich selbst mehr zu finden oder um aus der Distanz heraus klarer zu sehen.

Hier schließt sich gleich ein Tipp an: Wer meint, beim Pilgern jeden Tag zuhause anrufen oder diverse Bilder posten zu müssen, verpasst die Chance, sich für eine gewisse Zeit aus den alltäglichen Bindungen zu lösen und wirklich Neues zu erfahren. Daher steht in meiner Packanleitung fürs Assisi-Pilgern: Lass dein Handy ausgeschaltet oder gleich ganz zu Hause.

Apropos Rucksack: Er ist klein und seine Kapazität ist begrenzt. Viele erleichtern ihr Gepäck im Lauf der ersten Tage, weil sie merken, dass sie manches gar nicht benötigen. Beim Pilgern lässt sich erfahren, wie wenig man letztlich braucht – und damit wirklich zufrieden ist! Und so, wie im Rucksack nur Platz für die wichtigsten Dinge ist, wächst unterwegs die Aufmerksamkeit für das Wesentliche:

Was bewegt mich? Wohin zieht es mich? Was schleppe ich mit mir herum? Was will ich zurücklassen?

Das lange Wandern wirkt sich nicht nur auf das körperliche, sondern auch auf das seelische Wohlbefinden vielfach positiv aus. Kein Wunder, vermag doch unser Körper vieles zu verarbeiten, was die Seele belastet. Im Gehen lösen sich Blockaden und Ziele kommen wieder in Blick. Wenn sich Gedanken und Gefühle zu einem festen Knäuel verknotet haben, schafft das Gehen äußeren und inneren Raum. Das Schauen in die Ferne oder in das tief gelegene Tal mit seinen winzigen Häusern weitet den Blick. Sorgen können sich relativieren und neue Perspektiven eröffnen. Kurz gesagt:

Pilgern bringt uns körperlich und seelisch wahrhaft über den Berg!

Das Gehirn kann mit den Füßen Schritt halten

Das Schritt-Tempo bringt uns am dichtesten an die Welt heran. Denn beim Gehen kann unser Gehirn mit den Füßen Schritt halten – im Unterschied zu anderen, schnelleren Fortbewegungsweisen. Wir kommen in Tuchfühlung mit der Natur: spüren den Wind auf der Haut, riechen der Duft von wildem Thymian, hören den Gesang der Nachtigall… Die Natur hilft zu spüren, was es heißt, lebendig zu sein. Und weckt die Ahnung: Ich bin verbunden mit einem großen Ganzen.

Schritt für Schritt nähert sich unsere Pilgergruppe dem Ziel. Nach 14 Tagen erreichen wir Assisi: erschöpft, gelöst und glücklich, aber auch wehmütig, denn nun endet unser gemeinsames Pilgern. Doch alle nehmen einen Rucksack voll reicher Erfahrungen mit in den Alltag. Wenn ich, nach Hause zurückgekehrt, in den Spiegel schaue, habe ich persönlich oft den Eindruck: Ich bin mir selbst ein Stückchen ähnlicher geworden. Und ich habe wieder Ausdauer – fürs Wandern und fürs Leben.

Und ja, auch im September 2022 pilgere ich mit IMpulsLEBEN wieder mit jungen Erwachsenen nach Assisi. Es sind noch einige wenige Plätze frei. Hier geht es zur Ausschreibung.

Franziskusweg

Dieser Artikel ist ursprünglich im BRIGITTE-Magazin im März 2022 erschienen

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