Melanie Wolfers

Zu dem finden, was uns Kraft gibt

Wie wir die Zeit zuhause gut nutzen können

„Bleiben Sie zu Hause!“ heißt es derzeit in allen Medien. Ohne das Vielerlei des normalen Lebens merke ich nun in aller Deutlichkeit, dass ich tagaus, tagein in meiner eigenen Gesellschaft verbringe. Das finde ich manchmal ziemlich anstrengend! Was kann helfen, dass man es besser mit sich selbst aushält? Wie kann ich mehr bei mir selbst zuhause sein?


„Bleiben Sie zu Hause!“ Diese Aufforderung kommt uns derzeit von vielen Seiten entgegen. Die Corona-Epidemie zwingt uns anzuhalten und zuhause zu bleiben.

Ich vermisse meinen normalen Alltag mit seinen zahlreichen Begegnungen und Aufgaben. In dieser Woche stand „eigentlich“ Vieles auf dem Plan – etwa ein Vortrag in einem Stadtkino über die Kunst, mutig zu sein; ein Treffen mit meinem Lektor, um über mein neues Buch zu reden und eine Wanderung mit Freunden. Doch nun – ohne das Vielerlei des normalen Lebens – merke ich in aller Deutlichkeit: Von morgens bis abends lebe ich mit mir selbst zusammen. Tagaus, tagein verbringe ich in meiner eigenen Gesellschaft. Manchmal gelingt mir das gut und ich fühle ich mich wohl in meiner Haut. Und manchmal finde ich es ziemlich anstrengend, ich zu sein!

Denn wenn das geschäftige Grundrauschen verebbt, taucht auf, wovor man ansonsten mit kleinen Tricks flieht: sei es Angst oder Schmerz, Einsamkeit, Eifersucht oder ein schwelender Konflikt.

Mich erreichen in diesen Tagen viele Mails und Telefonate, in denen es um die Frage geht: „Wenn wir schon nicht rausgehen und uns mit anderen verabreden dürfen: Was kann helfen, dass wir es besser mit uns selbst aushalten? Wie kann ich mehr bei mir selbst zuhause sein?“

Melanie Wolfers

Sich mit sich selbst verabreden

Ich glaube: Um besser mit sich klar zu kommen hilft es, dass man sich regelmäßig mit sich selbst verabredet. Ein solches Treffen lässt sich leicht arrangieren – etwa indem ich mehrfach am Tag einen Augenblick still werde. Konkret kann das bedeuten: Ich stelle mich morgens an das weit geöffnete Fenster. Mache einige tiefe Atemzüge. Nehme wahr, mit welchen Gedanken ich aufgewacht bin und was ich jetzt fühle. Und ich begrüße ganz bewusst den neuen Tag. Und kann mir z.B. sagen: „Nur für heute will ich ganz und gar im Hier und Jetzt leben.“

Oder ich kann die vielen kleinen Zeitsplitter am Tag nutzen – etwa das Warten, bis das Wasser kocht oder der PC hochgefahren ist –, um innezuhalten. Ich richte meine Aufmerksamkeit nach innen und frage mich interessiert: Was nehme ich wahr? Wie fühle ich mich? Was geht mir durch Kopf und Herz?

In diesen verunsichernden Zeiten wird sich vermutlich Angst lautstark zu Wort melden. Und das ist nicht nur normal, sondern auch gesund! Denn Angst schützt uns und hilft uns, zu leben. Aber Angst kann auch zu vorlaut werden. Ja übermächtig. Wie kann es gelingen, die Angst zu hören, ohne blindlings auf sie zu hören?

Auf Ängste hören, ihnen aber nicht hörig sein

Ein wichtiger Schritt liegt darin, dass man sich die Angst, die einem im Nacken sitzt, vor Augen führt. Denn sobald wir unsere Ängste bewusst wahrnehmen, gewinnen wir einen inneren Abstand. Und dieser Spielraum ermöglicht es, dass wir unsere Angst hören, ihr aber nicht gehören. Menschen, die spirituell oder glaubend unterwegs sind, geben beim Meditieren oder Beten ihrer Angst bewusst Raum. Ich persönlich mache dabei die Erfahrung, dass im göttlichen Licht meine Angst abflachen kann. Dass Vertrauen und Zuversicht wachsen.

Wie kann es gelingen, die Angst zu hören, ohne blindlings auf sie zu hören?

Das Glück des Augenblicks genießen

Wie kann es gerade jetzt, wo wir das Haus nicht verlassen sollen, gelingen, dass wir mit uns selbst gut zusammenleben und mehr bei uns selbst zuhause sind? Ein zweiter Hinweis.

„Von einer Frau wird erzählt, dass sie eine Lebensgenießerin erster Güte war. Jeden Morgen steckte sie sich eine Hand voll Bohnen in ihre rechte Hosentasche. Der Grund: Sie wollte die schönen Momente des Tages bewusster wahrnehmen, indem sie für jede positive Kleinigkeit, die sie im Laufe des Tages erlebte, eine Bohne von der rechten Hosentasche in die linke Hosentasche wandern ließ.

Abends nahm sie die Bohnen aus der linken Tasche einzeln in die Hand und führte sich vor Augen, wie viel Schönes ihr an diesem Tag widerfahren war. Und auch wenn sie an einem Abend nur eine Bohne in Händen hielt, so hatte es sich zu leben gelohnt.“

Es muss nichts Außergewöhnliches geschehen, um den Duft eines frisch gebrühten Kaffees zu genießen. Es braucht nur einen Moment ungeteilter Aufmerksamkeit für das, was am Wegesrand blüht. Und mitten im Alltagsgetriebe kann uns ein freundlicher Blick erreichen – wenn wir dafür wach und berührbar sind.

Den eigenen Weg finden

Egal, ob es Bohnen in der Hosentasche oder andere Erinnerungshilfe sind – worauf es ankommt ist: Dass wir das Glück des Augenblicks nicht ungesehen vorüberziehen lassen, sondern dass wir es wahrnehmen und auskosten!

Sich mit sich selbst verabreden, die Angst hören, ohne unbedacht auf sie zu hören und sich der Freude überlassen, wenn sie einen ergreifen will – wenn ich das beherzige, dann fällt es mir leichter, die Aufforderung „Bleiben Sie zuhause!“ Folge zu leisten. Ja, dann kann das erzwungene Daheimbleiben für mich zum Weg werden, mehr bei mir selbst zuhause zu sein.


Melanie Wolfers

Leseempfehlung

Wie wir in Krisenzeiten der Angst die Stirn bieten und beherzt unser Leben gestalten, darum geht es in meinem Buch »Trau dich, es ist dein Leben.