Unsicherheit Selbstzweifel

Kopfkino als Freudenkiller

Wie du Freude genießen und kultivieren kannst

Bist auch Du schon einmal darüber gestolpert, dass dein Hirn in Augenblicken puren Glücks wie von selbst Unglücksszenarien vor deinem geistigen Auge ablaufen lässt und dadurch deine Freude mindert? – Was geschieht da? Woher in aller Welt kommt das? Und vor allem: Wie lassen sich frohe Momente mehr genießen und kultivieren?!

Sich vorbehaltlos zu freuen, fällt manchmal nicht leicht. Da erzählt ein Vater: „Ich stehe am Bett meiner Kinder, lausche den ruhigen Atemzügen und rieche ihren vertrauten Duft. Wie unglaublich schön ist das! Ein Gänsehautgefühl von Glück und Liebe. Aber wie aus dem Nichts breiten sich düstere Fantasien aus, was ihnen alles zustoßen könnte.“

Es ist paradox: Einerseits wünschen wir Menschen uns mehr Freude. Aber andererseits melden sich gerade in Augenblicken großen Glücks oft Befürchtungen zu Wort und schmälern die Freude. Woher in aller Welt kommt das?

In Augenblicken großer Freude meldet sich oft auch unsere Verletzbarkeit zu Wort.

In Momenten echten Glücks, in denen einfach alles passt, erleben wir die Zerbrechlichkeit vielleicht umso deutlicher: Ich kann diesen Moment – das ausgelassene Lachen mit meinem Partner, das gute Gespräch, den vertrauten Klang einer Lieblingsmelodie – nicht festhalten. Die Menschen, die mir viel bedeuten, sind zerbrechlich und vergänglich. Wie alles, was ich aufgebaut habe. Und wie ich selbst. Mit einem Schlag kann mir alles genommen werden.

Es ist also die Angst vor der Verletzlichkeit, die dazu führt, dass wir unserem Glück nicht trauen. Wir fürchten, dass die Freude bald der Enttäuschung weichen wird. Oder noch schlimmer: Dass sie das Unglück magisch anzieht.

Sich selbst ein Bein stellen

Bei genauerem Hinsehen zeigt sich also: Die Unglücksphantasien, die sich in Momenten großer Freude manchmal wie von selbst einstellen, wollen uns vor unserer Verwundbarkeit schützen. Wir versuchen, dem Unglück mental zuvorzukommen: Um nicht aus heiterem Himmel vom Schmerz überrumpelt zu werden, trüben wir die Freude durch finstere Phantasien vorsorglich ein – in der Hoffnung, dadurch mit einem möglichen Umschwung besser zurechtzukommen. Und je mehr wir uns auf Schlimmes gefasst machen, umso weniger werden wir aus der Fassung geraten, wenn dieses tatsächlich eintreten sollte.

Doch mit diesem unbewussten Selbstschutz stellt man sich in mehrfacher Hinsicht ein Bein. Erstens: Wenn wir unsere Fähigkeit zur Freude vergraben, präparieren wir uns gerade nicht für Verluste oder Enttäuschungen! Im Gegenteil, wir schwächen unsere seelische Widerstandskraft.

Jedes Mal aber, wenn wir der Freude erlauben, dass sie unser Herz weit macht, stärken wir unsere Fähigkeit, mit den kleinen und großen Widrigkeiten umzugehen. Und wir kultivieren die Kraft der Hoffnung.

Kopfkino mut

Ein Zweites: Gedanken und Angstfantasien machen uns oft etwas vor. Humorvoll und pointiert beobachtet Mark Twain: „Ich habe einige schreckliche Dinge in meinem Leben durchgemacht, von denen einige tatsächlich passiert sind.“ Wer seine Aufmerksamkeit bevorzugt auf den möglichen SuperGAU richtet, lässt sich nicht nur das Glück des Augenblicks rauben, sondern er leidet hier und jetzt. Und muss oft im Rückblick feststellen: Ich habe mich grundlos verrückt gemacht und unter Katastrophen gelitten, die nie eingetreten sind.

Und schließlich: Wenn tatsächlich etwas Befürchtetes eintreten sollte, dann werden wir um all die wunderbaren Augenblicke trauern, die wir nicht aus vollem Herzen genossen haben und die nun unwiderruflich vorübergegangen sind.

In diese Richtung geht die Erzählung eines Mannes: „Mein Lebensmotto lautete bislang: Mach dich auf das Schlimmste gefasst! Denn wenn es eintrifft, bist du vorbereitet und kommst leichter damit klar. Und wenn es ausbleibt, umso besser. Dann bist du angenehm überrascht. Doch es kam ganz anders: Vor einem Jahr ist meine Frau bei einer gemeinsamen Radtour durch die Alpen von einem Motorrad erfasst und getötet worden. Natürlich war ich in keinster Weise auf diesen Schock vorbereitet. Vor allem aber trauerte ich um all die wunderbaren gemeinsamen Augenblicke, die ich all die Zeit nur so halbherzig genossen hatte.“

Freude: schöner Götterfunke

Wir haben unser Leben nicht in der Hand! Ob wir einen Menschen über alle Maße lieben oder einen vergänglichen Augenblick feiern – in all diesen Momenten machen wir uns verwundbar. Aus diesem Grund kann Freude ein leises inneres Beben auslösen, und manchmal bekommt man sogar eine Gänsehaut, denn: Dieser Augenblick ist alles andere als selbstverständlich! Dieses spontane Fühlen kannst Du kaum beeinflussen. Doch die alles entscheidende Weichenstellung liegt ohnehin woanders: nämlich darin, wie Du diesen Schauder deutest und mit ihm umgehst.

Neigst Du dazu, ihn als Warnschuss zu interpretieren, der mahnt: „Freu dich nicht zu früh! Das ist nicht das wahre Leben!“ Oder verstehst Du den Schauder als eine Einladung, dankbar zu sein: für den Menschen an deiner Seite, für das berauschende Gipfelerlebnis nach einem anstrengenden Aufstieg oder einfach für den gegenwärtigen Augenblick?

Wenn ich in mich selbst hineinhorche, dann geht mir auf, dass sich in mir verschiedene dieser Stimmen zu Wort melden.

In diesem Wahrnehmen liegt eine große Chance, denn nun kann ich mich fragen: „Wem will ich (mehr) Glauben schenken: meiner Angst, die mir das Heute stiehlt, indem sie mich das Morgen fürchten lehrt? Oder meinem dankbaren Vertrauen, dass sich mir hier und jetzt das Leben in seiner Schönheit zeigt?“ Dankbarkeit bewirkt, dass man den Tag auch vor dem Abend lobt.

Wenn auf dem inneren Marktplatz mal wieder die verschiedenen Stimmen durcheinanderschreien, lädt der christliche Spiritualität ein, dass wir jenen Stimmen Gehör schenken, die uns innerlich weit machen und unser Freude stärken. Der Glaube ermutigt, dass ich den lichten Augenblick bejahen dank des Vertrauens, dass sich die ganze Welt einem schöpferischen göttlichen Geheimnis verdankt. Und dass es gut ist, in dieser Welt zu sein.

Dieser Text stammt aus: Melanie Wolfers, Trau dich, es ist dein Leben. bene! Verlag 2018, Seite 21–24
Fotos: © Everste/iStock, © aleksandarnakic/iStock.com

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